Iran - Liebe in Zeiten der Scharia

25.03.2014 11:32

Sie steht am Grabmal des Dichters Hafez in Shiraz. Mit einem Finger zeichnet sie die verschnörkelten Verse auf dem Grabstein nach. Es geht um Liebe, um was sonst. Um ihre Liebe, denn darum ist sie hier. Sie hofft auf das Verständnis ihrer Eltern, ihrer Onkel und Tanten, der Geschwister und Großeltern. Denn sie liebt einen Mann, den die Familie noch nicht kennt. Und sie hat Angst vor der Reaktion ihrer Mutter, wenn sie davon erfahren wird.


Das Grabmal des Dichters Hafez in Shiraz. Foto: Wolfgang Bürkle
 

Ihre Eltern wurden gezielt verheiratet, nach langen Verhandlungen der Großeltern: Die Familie ihres Vaters versprach, so wie es Tradition ist, ihrer Mutter hunderte von Goldmünzen, die Morgengabe. Das Gold dient als spätere Sicherheit. Vor ihrer Hochzeit gab es nur ein kurzes Kennenlernen. Erst dann entflammte ihre Liebe. "Wie ein Kochtopf, der erst langsam erhitzt wird", sagt ihre Mutter immer, und "nicht wie ein brennender Holzscheit, der allmählich verglüht". Das sei das Schöne an den ausgehandelten Ehen. Doch können ihre Eltern akzeptieren, dass sie, wie so viele ihrer Freundinnen, ihren eigenen Weg gehen will? Dass sie einen Mann liebt, den sie schon vor Jahren an der Universität kennen lernte? Dass sie mit den Traditionen brechen will?

Die Zeiten ändern sich im Iran. Erst die aufgezwungene Lockerheit und westliche Offenheit unter dem Schah, dann die Repressionen unter dem strikten Banner des Islam, kein Alkohol mehr, die Kopftuchpflicht für Frauen. Nun, nach der Wahl von Hassan Rohani, wieder ein Schritt in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung. Ein permanentes Tauziehen der Regeln. Wie weit kann eine junge Frau gehen?

Am Grabmal des Dichters Hafez in Shiraz. Foto: Wolfgang Bürkle
 

Immer wieder rutscht ihr schwarzes Kopftuch nach hinten, legt die langen dunklen Haare mit den blonden Strähnen frei. Hinten sind sie mit einer großen braunen Klammer gebändigt. Ist das Kopftuch kurz vor dem vollständigen herunterrutschen, zieht sie es geübt wieder nach vorne. Doch allein, dass sie so scheinbar nachlässig mit ihrem Kopftuch umgehen kann, ist schon eine kleine Revolution für die Frauen in der islamischen Republik. Noch vor wenigen Jahren hätte sie einen Tschador tragen müssen, dass lange dunkle Gewand, dass nur ihr Gesicht frei lässt, oder wenigstens einen langen weiten Mantel, dazu ein Kopftuch. Nun kann das Haupthaar wieder ein wenig atmen, die Sittenpolizei "Gascht-e Erschad" ist seit ein paar Monaten zu weniger Strenge angehalten und wird sie nicht sofort zurechtweisen. Zaghaftes Händchenhalten in der Öffentlichkeit führt nun nicht mehr direkt zu einer Strafe. Verpönt ist es trotzdem.


Auch am Grab des Dichters Hafez gilt Zurückhaltung. Gut 800 Jahre ist sein Tod her, er gilt als Schutzherr aller Liebenden. Unzählige Verliebte und jung verheiratete Paare pilgern zu seinem Mausoleum, er ist Glücksbringer, Bote einer wundervollen gemeinsamen Zeit. Doch wie im Westen steigt auch im Iran die Scheidungsrate, Männer können oft die versprochene Morgengabe nicht aufbringen, Nicht-eheliche Lebensgemeinschaften nehmen zu - und offiziell verbotene Operationen zur Wiederherstellung der Jungfräulichkeit und damit der Ehre sind an der Tagesordnung.


Frauen im Iran. Foto: Wolfgang Bürkle
 

Wie kann Hafez einer unglücklich verliebten Frau Trost spenden? Sie sucht Hoffnung in den romantischen Versen des Dichters, die sie schon in der Schule auswendig lernte. Einen kleinen Band mit Gedichten trägt sie bei sich, in schwarzes Leder gebunden, am Rand leicht abgegriffen. Der Vers, den sie zufällig aufschlägt, soll ihr ein Orakel sein, ein Blick in die Zukunft. Sie kniet am Grabmal nieder, schließt die vom Kajal dunkel umrandeten Augen, küsst den kalten Stein und blättert. Ihr roter Fingernagel bleibt an einer Seite hängen. Sie öffnet die Augen, blickt auf das Papier und liest:

Sieh', ich sterbe vor Verlangen nach Umarmung und nach Kuss,
Sieh', ich sterbe vor Begierde nach des saft'gen Mund's Genuss;
Doch was spreche ich noch länger? Kurz und bündig will ich sein:
Komm zurück, denn sieh', ich sterbe schon durch der Erwartung Pein!

(Verse aus dem "Diwan" von Mohammad Schams ad-Din (Hafez), übersetzt von Vinzenz Rosenzweig von Schwannau)

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