Das karge Leben in Soleb - Unterwegs am Nil im Sudan

08.03.2017 11:16

Das Rütteln an der Metalltür weckt mich auf. Der Wind mal wieder, er hat am Morgen etwas angezogen. Der handballgroße Stein, mit dem ich von innen die rostige Tür notdürftig verrammelte, hat zumindest ein wenig dafür gesorgt, das die Wärme in meinem Zimmer blieb. Dennoch schafft es der Wind, den Stein und damit auch die Tür etwas zu bewegen, die nun lautstark klappert. Ich wühle mich aus meinem Schlafsack heraus, nehme die Taschenlampe von dem Plastikhocker neben mir, der als provisorischer Nachttisch dient, schlüpfe in die Flipflops und leuchte mir den Weg im dunklen Zimmer zum Lichtschalter an der ockerfarbenen Wand. Seit gut einem halben Jahr gibt es hier in Soleb, im Norden vom Sudan, Strom - zeitweise zumindest. Der alte schwerhörige Mann, dem das Lehmhaus gehört, kam am Abend meiner Ankunft direkt in mein Zimmer und schaltete das Licht mit einem stolzen Grinsen im zahnarmen Gesicht an. Dazu textete er mich auf Arabisch zu. Obwohl wir beide wussten, das ich ihn nicht verstand, lächelte ich freundlich, sagte mal “aiwa“ und mal “tamam“, bis er sich winkend aus dem Zimmer verabschiedete, um mir einem Kanister Wasser von der nächsten Zisterne zu holen.

Bei den Ruinen von Soleb im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Ich schnappe mir Handtuch und Shampoo, schiebe den Stein ganz zur Seite und kann gerade noch die Tür festhalten, bevor der Wind sie mit Wucht gegen die Wand knallen würde. Sonnenstrahlen kommen herein, aber auch kalte Luft. Ich hätte nicht gedacht, dass es im Februar in der Wüste so frisch sein kann - es hat keine zehn Grad Celsius. Ich eile über den Sand in Richtung Dusche, ein kleiner Verschlag hinter dem Haupthaus mit Wellblechdach. Darin eine große blaue Plastiktonne voll kaltem Nilwasser, ein kleiner Becher dient zum Schöpfen. Nicht gerade angenehm, aber so verschwindet zumindest die letzte Müdigkeit - und zudem einige Sandkörner, die noch auf meiner Haut klebten.
 
In Soleb im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Es ist ein einfaches Leben hier in diesem kleinen sandigen Ort auf der Westseite des Nils. Der alte Mann verdient mit der Vermietung seiner Zimmer Geld, er lebt mit einer seiner Töchter hier, diese hat zwei kleine Jungs. Die anderen drei Töchter leben mit ihren Männern in den größeren Städten, um dort Geld zu verdienen. Der Strom war ein riesiger Schritt nach vorne - nun hofft man noch auf fließendes Wasser in Soleb. Irgendwann, inshallah, könnte es kommen. Der Ort liegt wenige Hundert Meter vom Wasserlauf des Nils entfernt - erst kommen grüne Felder mit Palmen, mit Hibiskus, Weizen und Bohnen. Dann beginnt der Sand der Wüste, unterbrochen von Häusern und einigen Ziegenställen. Dazwischen allerdings ragt etwas einzigartiges heraus: die Überreste eines fast 3400 Jahre alten Tempels, erbaut auf Befehl von Amenophis III., einem altägyptischen Pharao, unter dem auch ein Großteil des Tempels von Luxor gebaut wurden. Säulen aus Sandstein streben in Soleb dem Himmel entgegen, Hieroglyphen und Abbilder von Göttern prangen an den erhaltenen Mauern und den hier herumliegenden Trümmern. Es gibt hier keinen Zaun, keine Absperrung, niemanden, der offiziell Eintrittsgeld verlangt. Denjenigen, die hier leben, sind die paar Mauerbrocken herrlich egal. Während ich nach der kalten Dusche und einem einfachen Frühstück nun am Morgen aufgeregt mit der Kamera das ein oder andere Detail festhalte, reitet ein junger Mann auf seinem Esel vorbei und grüßt mich beiläufig. Ein paar Frauen gehen in Richtung der Felder ohne auch nur innezuhalten. Irgendwann hoppelt noch ein Hase herum, der sich aber schleunigst verzieht, als ich einen Schritt auf ihn zugehe. Mir gefällt die Leere in diesen Ruinen; ein selten besuchtes Kleinod in einem zu unrecht gemiedenen Land. 
 
Bei den Ruinen von Soleb im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Das Eingangstor meiner Unterkunft ist gekrönt von zwei Krokodil-Schädeln. Früher scheint es hier viele von ihnen gegeben zu haben, ich sehe aber bei meinen diversen Ausflügen rund um den Nil kein einziges Exemplar mehr. Dafür umso mehr Fliegen in allen Größen und Formen. Da bin ich froh, dass sich im Februar die Temperaturen hier irgendwo zwischen 10 und 20 Grad eingependelt haben - da sind auch die lästigen Insekten etwas träger. Am Nachmittag setze ich mich in den Windschatten hinter einer dicken Mauer, bereite mir eine Tasse Instant-Kaffee zu und versuche zu lesen. Nur spärliche Infos finde ich im Reiseführer zu Soleb. Und Internet habe ich hier sowieso nicht. Nach wenigen Minuten Stille höre ich ein leises Tapsen hinter einer Säule. Dann kuckt auch schon der Enkel des alten Mannes neugierig dahinter hervor. Er weiß, dass ich in meinen Taschen immer ein paar Kaubonbons mit habe. Etwas schüchtern schleicht er sich an, seine großen Augen ähneln gerade dem Blick eines bettelnden Hundes. Ich muss grinsen, versuche aber, ernst und abgelenkt zu wirken. Doch vergeblich - ich gebe ihm ein Bonbon, höre ein leises "shukran" und versuche schließlich, ihm ein paar deutsche Wörter beizubringen. "Wind" und "Vogel" plappert er mir auch ein paarmal nach, dann ist es mit der Aufmerksamkeit schon wieder vorbei. Er verkrümelt sich, ich lese ein wenig weiter und werde diesmal nur von den kleinen Staren abgelenkt, die sich in unbeobachteten Momenten am Zuckerglas zu schaffen machen. 
 
In Soleb im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Kurz vor dem Sonnenuntergang schnappe ich wieder Kamera und Stativ, auch die Taschenlampe, und ziehe die festen Turnschuhe an. Der alte Mann hatte vorher mit schlängelnden Handbewegungen warnend darauf hingewiesen, dass dort im Dunkeln das ein oder andere Reptil kriechen könnte. Da der Tempel nicht angestrahlt wird, ist er nachts genauso dunkel, wie jedes andere Haus in der Wüste. Ich stapfe durch die einsamen Ruinen, warte auf die schönsten Lichtverhältnisse für einige Fotos - und kurz nach Sonnenuntergang ist bis auf den Sternenhimmel alles schwarz. Einer Schlange begegne ich zwar nicht, aber auf dem Rückweg blökt mich ein Esel an, den ich offenbar bei seinem Abendessen gestört habe.  
 
Bei den Ruinen von Soleb im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Im Laufe meines Aufenthalts in Soleb laufe ich insgesamt dreimal rüber zu dem alten Tempel - einmal am Morgen, einmal am Nachmittag und einmal am Abend. Dazwischen besuche ich eine Schule, schippere mit einem kleinen Boot über den Nil und schaue mir einige weitere Ruinen an - denn alle paar Kilometer finden sich am Westufer des Nils noch Hinterlassenschaften der Pharaonen. Nur wenige sind allerdings spektakulär: in Sesibi stehen gerade mal drei Säulen, in Sedeinga sogar nur eine. Man muss sich schon sehr dafür begeistern, um nicht davon enttäuscht zu werden, stundenlang für ein paar dieser Trümmer über die Kies- und Sandpisten zu brettern. Am Abend sitze ich schließlich auf dem durchgelegenen Bett, werfe meinen kleinen Laptop an und kopiere die Bilder drauf. Die Tür habe ich wieder mit dem schweren Stein verrammelt, damit sie nicht wegen des Windes klappert. Das Licht funktioniert und ich schaue mir die Fotos einmal an. Dabei sind auch Bilder des alten Mannes und seines Enkels - zwei Menschen, die mir einen Einblick in ihr Leben gegeben haben, das so gänzlich anders ist, als das, was mich in Deutschland erwartet. Und mir wird wieder klar, dass ich die Ruhe und Entspannung der Wüste zuhause vermissen werde, dieses karge Leben ohne den Stress des ständigen Wettbewerbs. Doch natürlich weiß ich, dass ich das fließende warme Wasser, den rund um die Uhr vorhandenen Strom und die Annehmlichkeiten der Moderne nicht gänzlich aufgeben will. 

 

 

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