Charmantes Chiwa: Die glanzvolle Oasenstadt in Usbekistan

17.01.2017 11:05

Das Zentrum von Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Nein, ich will nicht noch einen Koran-Ständer kaufen. Ja, ich habe schon welche. Ja, ich weiß, dass man da auch ein Handy oder ein Tablet reinstellen kann. Und ja, ich weiß, dass er aus nur einem Stück Holz besteht. Der Verkäufer lässt trotzdem nicht locker. Einer von vielen, die hier, in der Altstadt von Chiwa, ihre Waren anpreisen. Von hölzernen Koran-Ständern in allen erdenklichen Größen und Ausführungen. Von buntem Nippes über Postkarten bis hin zu Fellmützen gibt es hier ziemlich viele Dinge, die man kaufen und konsumieren könnte. Die Fellmütze will ich eigentlich auch nicht ausprobieren, da bestimmt schon dutzende andere Touristen ihren Schädel da drin hatten. Egal, er setzt sie mir dennoch auf. Kaufen will ich sie trotzdem nicht. Enttäuscht scheint der Verkäufer nicht zu sein, er wendet sich sofort anderen Passanten zu, die hier vorbeiflanieren und sich gerne vom kulturellen Reichtum der Stadt ablenken lassen.

Der Kalta Minor in Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Chiwa wirkt wie das wahr gewordene Klischee einer Stadt an der Seidenstraße: nette Menschen, schöne Gebäude, hohe Minarette, überall Marktstände und Handwerker. Ein Paradies für Touristen und Fotografen. Die Legenden von Timur Lenk, Geschichten von mächtigen Khans und herumziehenden Kamelkarawanen werden hier wach. Und der Handel ist seit Jahrhunderten der Lebensinhalt dieser Oasenstadt an der Seidenstraße in Usbekistan. Hier kamen alle Händler und Karawanen auf dem Weg zwischen Ost und West vorbei, hier wurden Teppiche und Tiere gehandelt, natürlich auch Gewürze, Kaffee und Konkubinen.  

Das Zentrum von Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Es sind die hellblauen und türkisfarbenen Kacheln, die der Altstadt von Chiwa ihren Charme verleihen. Zwar heißt es, die Stadt selbst sei schon über 2500 Jahre alt - doch wurde sie im Laufe der Zeit nicht nur von Dschingis Khan und Timur Lenk erobert und dabei jeweils in großen Teilen zerstört. Nein, die meisten Gebäude in der Altstadt sind gerade mal 200 Jahre alt. Ein bisschen fühle ich mich wie in einem Museumsdorf, in dem allerdings eifrig gearbeitet, gehandelt und gebetet wird. Es hat schon etwas von Tausend und einer Nacht, dieses kleine viereckige Stadtzentrum inmitten dicken Mauern. Ockerfarbene Gebäude aus kleinen Ziegelsteinen sind mit blauen Fliesen verziert, auf denen feine geometrische und florale Muster gezeichnet sind. Überall sind Moscheen und Medresen, Paläste und Markthallen entlang der engen Gassen, dazwischen einladende Plätze, darüber der wolkenlose Himmel der Seidenstraße. Mehrere hohe Minarette ergänzen das Bild - wohingegen der 29 Meter hohe Kalta Minor, der irgendwie abgebrochen aussehende Turm, sich als eher skurriles Wahrzeichen entpuppt. Denn eigentlich hätte dieser wohl über 70 Meter hoch werden sollen, aber dann blieb er durch den frühen Tod des Khans (oder aus statischen Gründen - darüber gibt es Diskussionen ...) unvollendet. Wie ein türkisfarbenes Fass sieht er nun aus. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Das Muster aus weißen, blauen, grünen und ockerfarbenen Fliesen bildet eine wunderschöne Harmonie. Diese einzigartige Dekoration, einmalig für ein Minarett, wirkt immer noch so faszinierend wie vor über 150 Jahren.

Im Zentrum von Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Es gibt viel zu erleben in Chiwa, die einst die letzte Oase vor der großen Karakum-Wüste in Richtung Süden war. In einem der vielen Höfe treten Hochseilartisten auf, dazu spielt eine Band in traditionellen Kostümen ebensolche Musik. In der Juma-Moschee stehen über 200 Holzsäulen, alle verschieden geschnitzt, aus unterschiedlichen Jahrhunderten, teilweise aus anderen Gebäuden hierhin gebracht. Ich fühle mich wie in einem dunklen Wald voller exquisit gestalteter Bäume. Und im Pahlawan-Mahmud-Mausoleum wird an den Namensgeber erinnert - dieser war Ringer, Soldat, Arzt und Dichter, ein Multitalent offensichtlich. Hochzeitspaare und Pilger kommen hierher zum Beten und zum Posieren für das ein oder andere Erinnerungsfoto. Ein Hochzeitspärchen küsst sich unter einem der Mosaikbogen. Das Wasser im Brunnen des Hofes soll verjüngend wirken; so holen die Einheimischen das Nass eimerweise nach oben, um sich von der versprochenen Wirkung zu überzeugen. Einige verziehen das Gesicht, salzig und muffig soll die Flüssigkeit schmecken.

Die Juma-Moschee in Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Schulklassen und Touristengruppen drängeln sich an manchen Plätzen. In einigen Medresen, die heute nicht mehr als Religionsschule dienen, hängen Fotografien von Adligen, Kriegern und Künstlern, in anderen werden Teppiche geknüpft und die teils üppig verzierten Koranständer geschnitzt. Ältere Händlerinnen grinsen mich mit ihren Reihen von Goldzähnen an - ein Statussymbol und Investition in die Zukunft. Während am Tag die Eindrücke einen geradezu überfluten, wirkt das alte Zentrum am Abend, wenn alle Läden geschlossen und die Touristen in ihren Unterkünften sind, wie verlassen; genauso, als habe ein Museum geschlossen. 

Während ich durch einsame, dunkle Sträßchen schlendere, wird mir klar, dass Chiwa zu poliert, zu glanzvoll und zu gut in Schuss ist, um wirklich ein "authentisches" Flair zu versprühen. Die Macken und Risse der Geschichte fehlen einfach: keine Spelunken, zu wenig Dreck und Verlebtheit. Die Magie der Stadt entsteht nur noch im Kopf, wo sich die Phantasie Aladin und seine Räuber hinter der nächsten Türe erhofft. Ich stelle mir vor, wie es einst hier gewesen sein könnte, in einer typische Nacht in einer der leeren Gassen. Und vielleicht kann ich nachvollziehen, wie sich ein Karawanenreiter mit schwer beladenem Kamel im Schlepptau fühlt, auf der Suche nach der letzten offenen Herberge.

Musiker im Zentrum von Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

Besucht im Sommer 2013.  

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Im Zentrum von Chiwa in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle

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